Das ehemalige Wasserwerk an der Siegburger Wahnbachtalstraße wird 1923 Standort des aufstrebenden Betriebs.Walterscheid GmbH Logo

100 JAHRE WALTERSCHEID – EINE MARKE, DIE VERBINDET

Mühlengasse 6 Siegburg
Deutlich gewachsene Belegschaft: Mitte der 1920er Jahre posiert Jean Walterscheid (zentral mittig) mit seinen Leuten.
Die Königlichen Werke beschäftigten tausende Arbeitskräfte. Nach der Schließung des Preu- ßisch-Königlichen Feuerwerks- Laboratoriums 1919 verliert auch Jean Walterscheid seine Arbeit.
Mit der Erlaubnis der britischen Besatzungsbehörden nimmt Walterscheid im Herbst 1945 den Betrieb wieder auf. Viele Mitarbeiter hat Bernhard Müller selbst zurückgeholt – bei Touren mit dem Fahrrad in der Umgebung.
Kriegszerstörungen in Siegburg: Ab Herbst 1944 nehmen die Luftangriffe auf Siegburg zu, am 28. Dezember 1944 kommt es zu einem besonders verheerenden Angriff.
Mitarbeiter am Wehr des Mühl- grabens Mitte der 1930er Jahre: Viele werden einige Jahre später zum Kriegsdienst eingezogen.

Das Fundament –
Ära Jean Walterscheid

1919 – 1952

Anfänge in der Waschküche

Jean Walterscheid richtet im Sommer 1919 in einer ehemaligen Waschküche in Siegburg eine kleine Werkstatt ein. Der 27-Jährige sucht sein Glück in der Selbstständigkeit. Er stellt Zahnkränze für Fahrräder her und führt Reparaturen aus. Das Unternehmen wächst schnell. 1934 mietet Walterscheid die Hansenmühle und baut dort eine Produktion auf. Er schmiedet für Fahrzeuge aller Art Achsen und Achswellen, die das Fundament für den weiteren Erfolg sind.

Jean Walterscheid gründet 1919 eine Metallwarenfabrik

Siegburg 1919: Jean Walterscheid hat den Krieg überstanden und privat sein Glück gefunden. Er heiratet Gertrud Buchholz aus Mülldorf (heute Teil von Sankt Augustin). Doch wie soll es beruflich weitergehen? Der 27-Jährige trifft eine mutige Entscheidung und wagt den Schritt in die Selbstständigkeit. Als passionierter Radfahrer beschließt er, Zahnkränze für Fahrräder zu drehen. Von seinem Arbeitsplatz in den inzwischen geschlossenen Siegburger Rüstungswerken hat er eine Drehbank übernommen. Er mietet eine ehemalige Waschküche in der Mühlengasse (heute: Mühlenstraße) und baut dort seine Drehbank auf. Sein Freund Adolf Mletzko, der auch Kompagnon der Firma wird, unterstützt ihn. Noch im September 1919 nimmt die Mletzko & Walterscheid Metallwarenfabrik den Betrieb auf. Die beiden Inhaber beschäftigen einen Arbeiter, sodass sie nun zu dritt arbeiten. Die Erfolgsgeschichte eines Unternehmens beginnt. Doch wer ist Jean Walterscheid?

Johann Josef Walterscheid wird 1892 in Siegburg als Sohn der Eheleute Peter und Anna Walterscheid geboren. Er wird wie im Rheinland verbreitet in der französischen Form „Jean“ oder „Schäng“ gerufen. Nach dem Besuch der Volksschule beginnt er 1906 eine Lehre als Dreher bei den Königlichen Werken in Siegburg. Eingesetzt ist er im Feuerwerks-Laboratorium, einer der beiden Rüstungsfabriken. Sein Hobby ist der Radsport: 1908 wird er Mitglied des Siegburger Radfahrvereins. Nach der Ausbildung macht er einen kurzen Abstecher zu einer Firma in Hameln, bevor er 1912 wieder im Feuerwerks-Laboratorium beginnt. Er erlebt, wie die Waffenfabrik unter Hochdruck Rüstungsgüter für den Ersten Weltkrieg (1914–1918) produziert.

Als der Erste Weltkrieg im November 1918 mit der Kapitulation Deutschlands endet, besetzen alliierte Truppen das Rheinland. In den Siegkreis ziehen zunächst Kanadier ein, später kommen Engländer und schließlich Franzosen. Zur französischen Besatzungszone gehört auch das rechtsrheinische Siegburg – als Teil des sogenannten Brückenkopfes um Köln. Das deutsche Militär muss die Region verlassen, Rüstungswirtschaft wird verboten. Am 13. September 1919 werden die Geschossfabrik und das Feuerwerks-Laboratorium geschlossen, den Beschäftigten wird gekündigt. Der Versuch, die Werke auf Friedensproduktion umzustellen, misslingt nach einigen Jahren. Nur wenige der zuletzt 27.000 Arbeitskräfte behalten ihren Arbeitsplatz und Jean Walterscheid gehört nicht dazu. Er wagt nun den Schritt in die Selbstständigkeit.

Aus der Begeisterung für den Radsport – Jean Walterscheid ist seit 1908 Mitglied im Radfahrer-Verein Siegburg – wird eine Geschäftsidee: die Herstellung von Zahnkränzen.

Aus der Begeisterung für den Radsport – Jean Walterscheid ist seit 1908 Mitglied im Radfahrer-Verein Siegburg – wird eine Geschäftsidee: die Herstellung von Zahnkränzen.

Geschossfabrik und Feuerwerkslaboratorium –
die Königlichen Werke

Die Königlichen Werke beschäftigten tausende Arbeitskräfte. Nach der Schließung des Preußisch-Königlichen Feuerwerks-Laboratoriums 1919 verliert auch Jean Walterscheid seine Arbeit.

Die industrielle Entwicklung Siegburgs ist bis 1919 bestimmt durch die Königlichen Werke, zwei große Rüstungsbetriebe, die im späten 19. Jahrhundert errichtet werden. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg und der Reichsgründung 1870/71 rechnet die Regierung in Berlin mit einem weiteren Krieg gegen den „Erzfeind“ Frankreich. Da der Rhein als natürliche Verteidigungslinie gilt, wird ein Standort für eine Rüstungsfabrik nahe des Stroms gesucht, um schnellen Nachschub an Munition zu sichern. Die Fabrik muss aber so weit entfernt liegen, dass sie nicht in Kampfhandlungen einbezogen und zu leicht eingenommen wird. Siegburg mit seiner Eisenbahnverbindung zur Festung Ehrenbreitstein (bei Koblenz) und zum Ruhrgebiet, das die Rohstoffe liefert, eignet sich bestens.

1873 beginnt auf dem Siegburger Haufeld der Bau einer Geschossfabrik, die zwei Jahre später eröffnet wird. Allerdings müssen die Zünder noch lange aus Spandau geliefert werden, bis die Regierung entscheidet, diese künftig auch in Siegburg herzustellen. Auf dem Brückberg im Nordwesten der Stadt (heutige Luisenstraße/Barbarossastraße) entsteht das sogenannte Feuerwerks-Laboratorium und nimmt 1892 die Produktion auf.

Durch die Königlichen Werke steigt die Einwohnerzahl Siegburgs von knapp 5.000 (1871) auf über 16.000 (1905). 5.000 Menschen arbeiten bei den Königlichen Werken direkt, viele weitere bei Zulieferern. Durch diesen Boom wächst die Stadt weit über den mittelalterlichen Kern hinaus, das moderne Siegburg entsteht. Als die Waffenproduktion im Ersten Weltkrieg massiv ausgeweitet wird, beschäftigen Geschossfabrik und Feuerwerks-Laboratorium bis zu 27.000 Menschen und damit mehr, als die Stadt Einwohner hat.

Jean Walterscheid (2. von links in der mittleren Reihe) beschäftigt schnell rund 15 Mitarbeiter, hinzu kommen erste Lehrlinge.

Jean Walterscheid (2. von links in der mittleren Reihe) beschäftigt schnell rund 15 Mitarbeiter, hinzu kommen erste Lehrlinge.

Erfolge trotz Widrigkeiten

Das ehemalige Wasserwerk an der Siegburger Wahnbachtalstraße wird 1923 Standort des aufstrebenden Betriebs.

Deutlich gewachsene Belegschaft: Mitte der 1920er Jahre posiert Jean Walterscheid (zentral mittig) mit seinen Leuten.

Deutlich gewachsene Belegschaft: Mitte der 1920er Jahre posiert Jean Walterscheid (zentral mittig) mit seinen Leuten.

Walterscheids Betrieb läuft trotz der schwierigen Umstände erstaunlich gut. Die Wirtschaft kommt nach dem Krieg nur langsam wieder in Gang, es fehlen Rohstoffe und Absatzmöglichkeiten. Auch die politische Situation ist angespannt. Die 1922 einsetzende Inflation erschwert die Geschäfte zusätzlich. Das bis 1926 besetzte Siegburg leidet vor allem unter der Schließung der Königlichen Werke und der wachsenden Arbeitslosigkeit. Erst als nach der Hyperinflation im November 1923 eine Währungsreform durchgeführt wird, beginnt sich das wirtschaftliche Leben zu stabilisieren.

Die neue Dreherei in der Mühlengasse 9 trotzt allen Widrigkeiten der Nachkriegsjahre. Walterscheid und seine Mitarbeiter stellen neben Zahnkränzen für Fahrräder allerlei Ersatzteile her und führen Reparaturen durch. Sie haben so viele Aufträge, dass die Waschküche bald zu klein ist. 1923 bezieht Walterscheid das ehemalige Wasserwerk Siegburg auf der Wahnbachtalstraße, die im Südosten der Stadt entlang der Sieg verläuft. Sein Freund Mletzko steigt aus der gemeinsamen Unternehmung aus und Walterscheid beginnt, Hersteller und Händler zu beliefern. Für den ersten Großkunden, die Frankfurter Torpedo-Werke, stellt Walterscheid pro Tag etwa 5.000 Gewindeteile für Fahrradfreiläufe her. Er beschäftigt inzwischen 15 Mitarbeiter und bildet ab 1923 auch technische Lehrlinge aus. Viele genießen die familiäre Atmosphäre des Betriebs, Jean Walterscheid ist ein beliebter Chef. Zum Feierabend bringt er gerne mal einen Kasten Bier für die Belegschaft in die Werkshalle.

Die relativ stabilen Jahre enden jedoch mit dem Zusammenbruch der New Yorker Börse im Oktober 1929, der zum Auslöser für eine große Weltwirtschaftskrise wird. In Deutschland gehen viele Unternehmen pleite, die Arbeitslosigkeit steigt rasant. Auch Walterscheid verliert viele Aufträge und muss seine Belegschaft drastisch reduzieren. Von zwischenzeitlich 76 Beschäftigten bleiben zeitweise nur noch drei bis vier übrig. Der Betrieb hält sich mit Reparaturarbeiten (unter anderem in einer Zellwollfabrik) über Wasser.

Neue Produkte und neuer Standort

Noch bevor die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernehmen, beginnt sich die Wirtschaft bereits deutlich zu erholen; das NS-Regime kurbelt die Entwicklung mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen weiter an. Auch Jean Walterscheid wagt in diesen Jahren etwas Neues. Da sein Betrieb bereits Kraftfahrzeug-Wellen repariert, will er nun Autohersteller direkt beliefern. Dazu muss er einige Produktionsschritte auslagern. Die Firma Wilhelms in Wahlscheid schmiedet die ersten Flanschwellen, die anschließend per Handkarren nach Siegburg gebracht werden, was viel Kraft und Zeit kostet. Als die Schmiedeaufträge zunehmen, richtet Walterscheid einen wöchentlichen Sammeltransport von Wahlscheid nach Siegburg ein. Doch er weiß: Um richtig in das Geschäft einzusteigen, braucht er ein neues Betriebsgelände.

1934 mietet Walterscheid die Hansenmühle an der Siegburger Bachstraße, direkt am Mühlengraben. Dort hat die Familie Hansen bis zum Ersten Weltkrieg ein Hammerwerk betrieben, zuletzt für die Achsen von Pferdewagen. Walterscheid stellt die Produktion auf Achswellen für Lkw und Pkw um und beschäftigt bald wieder 15 Mitarbeiter, die Vierkantstahl sägen, schmieden und in Form bringen. Für die Schmiede nutzt er einen Gasmotor, den sein Vater Peter Walterscheid betreibt. Nach dem Schmieden werden die Wellen zentriert, bevor weitere Schritte folgen: Richten, Drehen, Fräsen, Härten – und schließlich Prüfen. Als die Produktion der Wellen läuft, steigt Walterscheid auch in die Antriebstechnik ein. Über der Dreherei werden unter der Leitung von Michael Wiehl (genannt Wiehls Michel) Kardanwellen repariert und bald darauf auch hergestellt.

In der Hansenmühle schmieden Walterscheids Leute am Reckhammer Achswellen für Lkw und Pkw.

In der Hansenmühle schmieden Walterscheids Leute am Reckhammer Achswellen für Lkw und Pkw.

Kardanwellen

Kardanwellen

Kardanwellen, benannt nach dem italienischen Gelehrten Gerolamo Cardano (1501–1576), sind Antriebswellen, die durch ein oder mehrere Gelenke unterteilt sind oder zwischen zwei Gelenken angebracht werden. Sie dienen der besseren Kraftübertragung. Eingesetzt werden Kardanwellen in Pkw und Lkw, aber auch an Fahrrädern und Motorrädern. Zwischen Traktoren und landwirtschaftlichen oder anderen Arbeitsmaschinen kommen sie ebenfalls zur Anwendung. Gerolamo Cardano und die nach ihm benannten Wellen sind auch die Namenspaten der späteren Uni-Cardan AG.

Walterscheid’sche Zwickmühle

Trotz der neuen Produkte ist es ein steiniger Weg für den Betrieb. Jean Walterscheid spricht selbst davon, „leicht vom Flügel des Pleitegeiers gestreift zu werden“. Die Belegschaft nennt die Hansenmühle spaßeshalber „Walterscheid’sche Zwickmühle“.

Bis 1937 wohnt das Ehepaar Walterscheid noch selbst auf dem Betriebsgelände. Hauptfinanzleiter Eduard Orthen hat sein Büro im Wohnzimmer der Walterscheids. Daneben gibt es vier Verwaltungsräume: Sekretariat, Telefonzentrale, Rezeption und Buchhaltung. Auch die Produktion arbeitet mit einfachen Mitteln, ein großes Wasserrad am Mühlengraben setzt die meisten Maschinen in Bewegung. Wenn die Stadt am Peter-und-Paul-Tag (29. Juni) den Mühlengraben sperrt, um ihn zu reinigen, steht das Rad und mit ihm die Produktion bei Walterscheid still. In der Mühle schleppen Lehrlinge nach Feierabend die fertigen Teile über eine Steintreppe auf die obere Etage. Dort werden sie verpackt und auf zweiräderigen Karren über Feldwege zum Siegburger Bahnhof gebracht. Auch das ist Lehrlingsaufgabe, doch manchmal hilft der Unternehmer selbst mit. „Als wir anfingen, Lastwagenachsen zu produzieren, hat Jean Walterscheid die Achsen teilweise noch selbst geschultert und mit dem Motorrad zur Bahn gebracht“, erinnert sich ein Mitarbeiter.

Walterscheids Produktpalette: Achswellen für verschiedene Fahrzeuge

Walterscheids Produktpalette: Achswellen für verschiedene Fahrzeuge

Bernhard Müller

Bernhard Müller

Bernhard Müller wird am 5. April 1918 in Lohmar als Sohn von Heinrich und Elisabeth Müller geboren. Nach der Volksschule beginnt er 1932 eine kaufmännische Ausbildung bei Josef Schmandt, dem späteren Bürgermeister von Siegburg. 1935 wechselt er zu Walterscheid und macht dort schnell mit seinen Kenntnissen auf sich aufmerksam. 1937 ist er als 19-Jähriger bereits leitender kaufmännischer Angestellter. Der Zweite Weltkrieg unterbricht diese Karriere, Bernhard Müller wird eingezogen. Als er in Afrika schwer verwundet wird, entlässt ihn die Wehrmacht. 1943 kehrt er nach Siegburg zurück, nimmt seine Arbeit bei Walterscheid wieder auf und erhält Prokura. Nach der Adoption durch Jean Walterscheid 1952 nennt er sich Bernhard Walterscheid-Müller und wird später Inhaber des Unternehmens.

Wirtschaft im Nationalsozialismus

Mitarbeiter am Wehr des Mühl- grabens Mitte der 1930er Jahre: Viele werden einige Jahre später zum Kriegsdienst eingezogen.

Mitarbeiter am Wehr des Mühlgrabens Mitte der 1930er Jahre: Viele werden einige Jahre später zum Kriegsdienst eingezogen.

Die Nationalsozialisten greifen stark in die Wirtschaft ein und etablieren ein straff organisiertes System. Das Regime bereitet einen Angriffskrieg vor und richtet die Wirtschaft darauf aus. Auch Walterscheid bekommt das zu spüren: Ein staatlicher Kommissar in Berlin legt zum Beispiel den Preis für eine Achswelle fest. 1937 gelingt es Walterscheid, den Preiskommissar mit einer neuen Kalkulation von deutlich höheren Verkaufspreisen zu überzeugen. Ab da steigen die Umsätze deutlich und die Gewinne Jahr für Jahr. Walterscheid kauft die bisher gemietete Hansenmühle und erneuert seine Anlagen. Er richtet eine neue Schmiede ein und schafft elektrische Maschinen an, damit die Produktion unabhängiger von der Mühle wird. Als Jean und Gertrud Walterscheid in einen Bungalow an der Alten Lohmarer Straße umziehen, gibt es Platz für Erweiterungen.

Mit dem Überfall der Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 beginnt der Zweite Weltkrieg. Je länger der Krieg dauert und je intensiver er geführt wird, desto mehr richtet das NS-Regime die Wirtschaft auf Rüstungsproduktion aus. Auch Walterscheid bekommt Rüstungsaufträge und liefert Achswellen an die Wehrmacht. Die Produktion aufrechtzuerhalten und für die Rüstung sogar noch zu erweitern, ist jedoch schwierig, weil immer mehr Mitarbeiter zum Kriegsdienst einberufen werden. Daher setzt Walterscheid wie die meisten deutschen Unternehmen zwangsrekrutierte Arbeitskräfte ein: Etwa 35 Inhaftierte arbeiten im Laufe des Kriegs zwangsweise für den Betrieb. Viele von ihnen stammen aus dem Straf- und Jugendgefängnis Siegburg, wo sie zumeist als Gegner des Nationalsozialismus inhaftiert sind. Einige Zwangsarbeiter stammen aus Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Arbeitskräfte aus diesen Ländern werden anders als die sogenannten Ostarbeiter relativ gut behandelt und verpflegt. Insbesondere in kleineren Betrieben wie dem von Walterscheid herrscht ein vergleichsweise gutes Klima – nicht zuletzt, weil jede Arbeitskraft dringend benötigt wird. Nach dem Krieg bestätigen einige Zwangsarbeiter, sie hätten zusätzliche Nahrung erhalten und seien menschlich korrekt behandelt worden.

Auf Walterscheids Schmiedehalle weht beim Richtfest 1939 die Hakenkreuzfahne.

Auf Walterscheids Schmiedehalle weht beim Richtfest 1939 die Hakenkreuzfahne.

Schließung nach Bombenangriff

Nach den ersten militärischen Erfolgen der Wehrmacht wendet sich 1942 das Blatt und die Macht in den besetzten Gebieten beginnt zu bröckeln. Mit den ersten massiven Luftangriffen, wie dem „1000-Bomber-Angriff“ im Mai 1942 auf Köln, bekommt nun auch die deutsche Bevölkerung die Auswirkungen des Kriegs stark zu spüren. Zunächst bleibt Siegburg weitgehend von schweren Bombardierungen verschont. Dennoch lässt Jean Walterscheid zum Schutz der Mitarbeiter zwischen seinem Wohnhaus und dem Betrieb einen Bunker mit Abfederung für die gesamte Belegschaft errichten. Das Dach ist durch eine dicke Schicht aus Drehspänen zusätzlich gesichert. Ab 1943 wird die Produktion immer wieder durch Fliegeralarm unterbrochen, die Mitarbeiter flüchten häufiger in den Bunker. Ein Lehrling wird angehalten, „schnell den Debitorenkasten mit Unterlagen für die Finanzforderungen zu schnappen und in Sicherheit zu bringen“.

Ab Herbst 1944 nehmen die Luftangriffe auf den Siegkreis zu, am 28. Dezember 1944 kommt es zu einem verheerenden Angriff auf Siegburg. Dabei fällt eine Bombe direkt vor dem Betriebsgelände Walterscheids in den Mühlengraben, eine andere trifft mehrere werkseigene Reihenhäuser. Eine dritte Bombe schlägt nahe der neuen Schmiedehalle ein, die weitgehend zerstört wird. Angesichts der Zerstörungen stellt Jean Walterscheid die Produktion ein.

Kriegszerstörungen in Siegburg: Ab Herbst 1944 nehmen die Luftangriffe auf Siegburg zu, am 28. Dezember 1944 kommt es zu einem besonders verheerenden Angriff.

Kriegszerstörungen in Siegburg: Ab Herbst 1944 nehmen die Luftangriffe auf Siegburg zu, am 28. Dezember 1944 kommt es zu einem besonders verheerenden Angriff.

„Macht die Achse peng, ab zum Schäng“

Als US-amerikanische Soldaten im April 1945 Siegburg besetzen, liegen die Stadt und das Umland in Trümmern. Der Betrieb an der Hansenmühle steht seit Monaten still. Mitarbeiter sind gefallen oder als Soldaten über ganz Europa verstreut. Jean Walterscheid kämpft mit gesundheitlichen Problemen und überträgt dem Prokuristen Bernhard Müller die Betriebsleitung.

Auf dem Fahrrad fährt Bernhard Müller durch den Siegkreis und gewinnt Arbeitskräfte. Viele der alten Mitarbeiter sind froh, wieder Arbeit zu haben, und helfen beim Neuanfang. Manche steuern sogar Ersparnisse bei und werden stille Gesellschafter. Im Oktober 1945 erhält Bernhard Müller die Erlaubnis der alliierten Militärregierung, einen Wirtschaftsbetrieb zu führen. Das Permit Nr. 100 für Westdeutschland kostet ihn nach späterer Aussage „einige Flaschen Wein und einen Kater“.

Mit acht Mitarbeitern nimmt Walterscheid den Betrieb wieder auf, allerdings ist an eine Produktion von Achswellen zunächst nicht zu denken. Es fehlen Rohstoffe, intakte Maschinen und zahlungskräftige Kunden. Da die Mark bis zur Währungsreform 1948 praktisch wertlos ist, laufen die ersten Geschäfte im Tauschhandel. Walterscheid repariert landwirtschaftliche Geräte und erhält dafür auf den Bauernhöfen Lebensmittel wie Butter und Kartoffeln, mit denen er seine Arbeiter entlohnt. Das Geschäft mit der Landwirtschaft ist einträglich, auf immer mehr Höfen im Siegkreis sieht man jetzt Walterscheid-Mitarbeiter. Ein passender Werbespruch verbreitet sich schnell: „Macht die Achse peng, ab zum Schäng!“

Mit der Erlaubnis der britischen Besatzungsbehörden nimmt Walterscheid im Herbst 1945 den Betrieb wieder auf. Viele Mitarbeiter hat Bernhard Müller selbst zurückgeholt – bei Touren mit dem Fahrrad in der Umgebung.

Mit der Erlaubnis der britischen Besatzungsbehörden nimmt Walterscheid im Herbst 1945 den Betrieb wieder auf. Viele Mitarbeiter hat Bernhard Müller selbst zurückgeholt – bei Touren mit dem Fahrrad in der Umgebung.